Was die derzeitige Corona-Politik mit Sicherheitspolitik zu tun hat

Als Sicherheitspolitiker bin ich mit der Frage der Risikoabwägung und der Risikotoleranz konfrontiert. Gerade bei der Kriminalitätsbekämpfung und der Gefahrenbekämpfung stellt sich bekanntlich immer wieder die Frage der Verhältnismässigkeit, der Zweckbestimmung, der Erforderlichkeit   – also der Rechtsstaatlichkeit von sicherheitspolitischen Massnahmen. Beispielsweise: Wie weit wollen wir mit staatlichen Massnahmen, die uns alle betreffen, gehen, um Terroranschläge zu verhindern? Im Kern geht es darum, welches Risiko eine Gesellschaft eingehen soll bzw. welches Risiko zum Schutze unserer Freiheiten (nicht nur der indivduellen!) auf sich genommen werden muss. Also das Abwägen zwischen Sicherheit und Freiheit. Unsere moderne Gesellschaft bringt mit sich, dass mit allen Mitteln versucht werden soll Risiken zu minimieren. Wir können von einem Sicherheits-Paradigma sprechen und der Sehnsucht nach absoluter Sicherheit. Mahnende Worte haben gerade nach öffentlichkeitswirksamen Vorfällen zur Folge als Verharmloser, Naivling oder als Täterschützer abgestempelt zu werden.

Aktuell spitzt sich in der Gesundheitspolitik die Frage nach der Risikotoleranz dramatisch zu. Auch in der Frage der Gesundheit hat der Anspruch möglichst alle Risiken auszuschliessen in den vergangenen Jahrzehnten massiv an Fahrt gewonnen. Folgen sind eine höhere Lebenserwartung und hohe Gesundheitskosten. In der jetzigen Situation koppelt sich die Frage der Gesundheit mit der Frage der Sicherheit. Wie weit wollen mir mit staatlichen Massnahmen gehen – dieses Mal nicht um einen Terroranschlag zu verhindern – nein,  sondern um eine Ansteckung mit einem Virus zu verhindern?

Das macht eine linke politische Wertung interessant und komplex aber notwendig. Meiner Argumentationslinie stringent bleibend, möchte ich auch in der Gesundheitspolitik mahnende Wort einsetzen und auf die risikobehafteten Folgen einer Null-Risiko-Gesellschaft hinweisen. Ein absolutes Gesundheitsparadigma – im Falle des Virus, die Ausrottung oder das absolute Verhindern einer Ansteckung – gefährdet ebenfalls die Freiheiten und die Stabilität unserer Gesellschaft und gibt der Staatsgewalt Auftrieb, Mittel einzusetzen, die an der Rechtsstaatlichkeit ritzen. Linke Politik kommt hier ins Dilemma zwischen Gesundheitsschutz (Volksgesundheit) und der Abwägung von Verhältnismässigkeit, Zweckmässigkeit und Erforderlichkeit von Massnahmen der staatlichen Gewalt. Wobei Letzteres zur Zeit in der linken Debatte eher eine untergeordnete Rolle spielt.

Meine Forderung lautet: Auch in der gesundheitspolitisch argumentierten Pandemiebekämpfung muss die Frage der Sicherheit und der Freiheit und noch wichtiger, die Frage der Risikotoleranz vs. Mittel und Einfluss staatlicher Gewalt, offen geführt werden. Das ist nicht einfach, sind wir alle direkt davon betroffen bzw. von einer Ansteckung gefährdet. Ist schon bei einem Terroranschlag in Frankreich unser subjektives Sicherheitsgefühl negativ beeinflusst, stellt das Virus eine direkte Gefahr dar – wenn auch mit sehr unterschiedlichem Gefährdungspotential – was das Bedrohungsgefühl verständlicherweise zusätzlich verstärkt. Die vielen Unbekannten und schweren Krankheitsverläufe sind nahe und real.

Nun bietet sich aber eine neue Situation: Mit der vorliegenden Impfstrategie des Bundes, sollen – kommen die Impfdosen rechtzeitig an – im Frühling alle Impfwilligen der Risikogruppen geimpft sein. Es ist daher dringend angezeigt, dass wir nun neben der Volksgesundheit und den wichtigen Unterstützungsleistungen auch über die Risikotoleranz in der Gesundheitspolitik, bestenfalls auch in unserer Gesellschaft per se, diskutieren und unseren Kompass justieren. Statistiken über die Altersstruktur bei den Todesfällen und Krankenhauseinweisungen (s.u) können – analog z.B. einer Kriminalitätsstatistik – bei einer sachlichen Beurteilung helfen.

Meine These: Folgen wir auch nach dem Impfen der Risikogruppen einer unhinterfragten Nullrisiko-Toleranz werden wir über Monate weiterhin mit Einschränkungen leben müssen und der Staatgewalt nachhaltig Mittel in die Hände geben, die bei jedem Aufflackern einer neuen Virusgefahr sofort wieder an Fahrt gewinnen werden. Die Gefahr ist vorhanden, dass wir in einer Situation der Angst verharren bleiben und in Zukunft Massnahmen der staatlichen Gewalt, die unsere Freiheit einschränken und die staatliche Überwachung ausbauen, widerstandsloser auch in anderen Bereichen der Sicherheit folgen werden. Es ist also auch aus linker Perspektive angezeigt über die Umsetzung der Exitstrategie und über die kurz- und langfristige «Sicherheitsstrategie» in der Gesundheitspolitik Position zu ergreifen.

Beispielsweise so: Sich hinter die gestern (17.02.21) vorgestellte Strategie des Bundesrates zu stellen ist richtig. Das wir uns für die betroffenen Menschen und Unternehmen, den Schutz der Gesundheitsinfrastruktur, der Risikogruppen und der Arbeitnehmer*innen einsetzen ist wichtig. Sobald aber alle Impfwilligen der Risikogruppen geimpft sind, muss im Sinne einer ausgewogenen Risikoabwägung auch linke Politik dafür einstehen, dass die sicherheitspolitischen Massnahmen zur Virusbekämpfung schnell zurück gefahren werden, staatliche Kontroll- und Überwachungsmassnahmen (wie Contact Tracing) wieder aufgehoben werden, Datenbanken (z.B. bei der Einreise) aufgelöst werden und die besondere Lage aufgehoben wird. Die aktuell notwendige Definitions- und Handlungsmacht des BAG muss wieder auf Normalbetrieb und auf Prävention fokussiert umgestellt werden. Die Exekutive auf Bundesebene und in den Kantonen muss wieder zurück gebunden werden.

Quelle Statista.com
Quelle Statista.com

18. Februar 2021 von thomas
Kategorien: Politik | Schreibe einen Kommentar

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